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27.07.2001
»Presse, Presse, Presse - es wurde einfach ignoriert«
jW-Mitarbeiterin Kirsten Wagenschein über den Polizeisturm auf die Diaz-Schule in Genua und ihre Verhaftung

Seit Mittwoch abend bin ich raus aus dem Knast Volghera. Endlich. Im Moment geht es mir psychisch ziemlich gut. Ich bin einfach froh, wieder raus zu sein. Physisch geht es mir sowieso gut. Ich war eine der ganz wenigen Verhafteten, die überhaupt keine Schläge abgekommen haben. Als die Polizei am vergangenen Wochenende die Diaz-Schule in Genua gestürmt hatte, bin ich, wie andere auch, in Todesangst in dem Gebäude hin und her gerannt. Ich konnte mich zunächst in einer Besenkammer verstecken und hatte gehofft, sie würden mich nicht finden. Ich war erst fünf Minuten vor dem Polizeisturm zu Recherchearbeiten über die Antiglobalisierungsbewegung in die Schule gekommen. Wäre ich eine Viertelstunde später gekommen, dann hätte ich gar nicht mehr in die Schule gehen können. Es war reiner Zufall, daß ich verhaftet wurde.

Tatsächlich haben mich Polizisten nach einer Weile aber doch gefunden. Zu diesem Zeitpunkt war die erste Welle des Sturmangriffs vorbei, und Polizisten waren dazu übergegangen, durch das gesamte Haus zu ziehen und alle Räume zu durchkämmen. Dabei haben sie mit ihren Knüppeln alles kurz und klein geschlagen.

Ich wurde nach unten in die Haupthalle geführt, ohne daß ich geschlagen wurde. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich dort noch etwa 70 Personen, von denen bestimmt 50 verletzt waren. Die Hälfte von ihnen war blutüberströmt und schwer verletzt. Von den vorausgegangenen Übergriffen hatte ich persönlich nichts direkt mitbekommen, harrte ich doch in meinem vermeintlichen Zufluchtsort aus. Ich habe unten in der Halle allerdings gesehen, wie Leute übel zusammengeschlagen wurden. Niemand hat sich gewehrt, weil die Polizeipräsenz und -brutalität zu massiv war. Ich sah eine Frau auf einer Treppe stehen. Jeder Polizist, der an ihr vorbeiging, hat mit seinem Knüppel auf sie eingeprügelt. Ein Schlag ins Gesicht hat den Kiefer der Frau gebrochen und die vorderen Zähne ausgeschlagen.

Von Anfang an hatte ich deutlich darauf hingewiesen, daß ich Journalistin bin. Ich hatte meine Akkreditierung umgehabt, meinen Presseausweis in der Hand und immer wieder gerufen: Presse, Presse, Presse. Doch das hat keine Rolle gespielt und wurde ignoriert. Ein Zivilpolizist hat schließlich die Ausweise angeschaut und durch die Zähne gepfiffen - frei nach dem Motto: Was haben wir denn da gefangen. Schließlich wurde mir alles abgenommen: Rucksack, Dokumente, alles. Die italienischen Behörden wußten von Anfang an: Die Verhaftete Kirsten Wagenschein ist eine akkreditierte Journalistin.

Im Anschluß wurde ich zusammen mit den anderen Festgenommenen in eine Kaserne gefahren. Hände über dem Kopf - so wurden wir alle durchsucht. Wir wurden an die Zellenwand gestellt, ungefähr 40 Frauen und Männer. Die meisten von ihnen in der einen oder anderen Form verletzt. Es gab ganz viele Kopfverletzungen und Nasenbeinbrüche. Die Polizisten hatten augenscheinlich gezielt auf die Köpfe geschlagen. Diejenigen, die versucht hatten, sich schützend Hände vors Gesicht zu halten, hatten neben den Verletzungen am Kopf eben auch noch einen Gipsarm. Und alle standen wir Gesicht zur Wand, Beine breit und Hände über dem Kopf. Ich weiß nicht, wie lange wir so stehen mußten. Man verliert dabei jegliches Zeitgefühl.

Immer wieder sind Polizisten reingekommen, haben uns die Beine auseinandergetreten und die Arme hochgeschlagen, damit wir möglichst unbequem stehen. Auch diejenigen, deren Arm oder Bein bei dem Polizeiangriff gebrochen worden war, mußten so stehen. Und immer wieder haben die Polizisten geflüstert: Tonfa, Tonfa. Es war ein stundenlanger totaler Psychoterror, und immer wieder wurden Leute auch geschlagen.

Ich habe dies nicht selbst gesehen, da ich wie alle anderen mit dem Gesicht zur Wand stehen mußte. Doch jeder von uns hat die Schläge und Schreie gehört.

Zwischendurch durften sich die Frauen einen Moment setzen, die Männer nicht. Schließlich durften sich die Frauen mit dem Rücken zur Wand setzen. Wer auf die Toilette wollte, mußte durch ein Spalier von Polizisten gehen. Auf dem Rückweg habe ich einmal mit eigenen Augen gesehen, wie in einer anderen Zelle ein Mann von einem Polizisten mit einem Tonfa auf den Bauch geschlagen wurde. Der Polizist hat ihn mit der einen Hand an der Schulter hochgehalten, mit der anderen geschlagen. Der Verprügelte hat geschrieen und geschrieen, doch er wurde weiter geschlagen.

Bis Montag früh waren wir in dieser ersten Gefangenensammelstelle. Und die ganze Zeit über wurden Festgenommene geschlagen. Wir saßen in 20 Quadratmeter großen Zellen auf kaltem Steinboden, hatten praktisch nichts zu essen und kaum Wasser bekommen. Ich wußte die ganze Zeit über nicht, was mir vorgeworfen wird. Niemand wußte es. Es gab keine Übersetzer, keinen Zugang zu Rechtsanwälten oder zur deutschen Botschaft. Nichts. Wir wußten ja noch nicht einmal, wo wir eigentlich waren. Am Montag wurden alle erkennungsdienstlich behandelt. Es wurden Fotos gemacht und Fingerabdrücke genommen. Schließlich gab es eine erste Untersuchung. Wir mußten uns nackt ausziehen, ein Arzt und zwei Polizistinnen untersuchten, ob wir Verletzungen, etwa Blutergüsse, haben und haben das dann notiert. Doch auch als wir aus den Zellen zur Untersuchung geholt wurden, wußten wir nicht, was mit uns passiert, ob wir weggebracht oder anderenorts verprügelt werden.

Erst im Frauengefängnis Volghera, wohin ich zusammen mit anderen Frauen Montag nachmittag gebracht wurde, behandelte man uns einigermaßen korrekt, und der Psychoterror und die Schläge hatten ein Ende. Die Tortur dauerte mithin 36 Stunden. Zu keinem Zeitpunkt hat es eine Rolle gespielt, daß ich Journalistin bin. Keiner hat darauf reagiert. Mir wurde auch nicht erlaubt, Kontakt zu einer Anwältin oder einem Anwalt aufzunehmen. Keinem wurde dies erlaubt. Uns wurde immer gesagt, ein Telefonat mit einem Anwalt sei erst möglich, wenn wir vor dem Richter stehen.

Dienstag abend erhielt ich schließlich erstmals Besuch von einem Mitarbeiter des deutschen Generalkonsulats, der mir sagte, man hätte mich ausgesucht für einen Gefangenenbesuch, weil ich eine Journalistin sei. Das war das erste Mal, daß ich das Gefühl hatte, es nimmt endlich jemand wahr, daß ich von der Presse bin. Tatsächlich hatte ich zwei Stunden vor diesem Besuch erstmals die Erlaubnis erhalten, eine Wahlverteidigerin zu benennen. Das war am dritten Tag meiner Festnahme, lange nach der gesetzlich vorgeschriebenen 48-Stunden-Frist.

Am Mittwoch wurde wir inhaftierten Frauen »endlich« dem Haftrichter vorgeführt. Das erste Mal gab es einen Dolmetscher und eine Gruppe von Anwälten und Pflichtverteidigern, die sich um uns kümmerten. Das erste Mal erfuhr ich, was mir vorgeworfen wird: Verdacht auf Mitgliedschaft in einer internationalen Vereinigung namens Black Block. Gegen 20 Uhr wurde ich freigelassen und konnte Volghera den Rücken kehren. Zusammen mit den anderen Haftentlassenen wurde ich über den Brenner abgeschoben. Italien darf ich einem vorläufigen Bescheid des Haftrichters zufolge die nächsten fünf Jahre nicht besuchen.

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