Der Sender RCTV und die angebliche Demokratisierung der Kommunikation [El Libertario, # 50, 2007] * Das Kollektiv der anarchistischen venezolanischen Zeitung El Libertario veröffentlicht seine Position in der Debatte um den Fall von RCTV, in dem die gegenwärtige Regierung eine Lösung aufzwingt, bei der wir von der Gemeinheit des privaten kapitalistischen TV-Oligopols zu den Schrecken kommen, den das Monopol eines bürokratischen und autoritären Staates darstellen kann. Seit 20 Jahren schreiben die venezolanischen AnarchistInnen gegen die Übel und Ansichten der privaten Medienkonzerne wie RCTV an. Dieser Konzern stellte seinen wirtschaftlichen Erfolg sicher, indem opportunistische Beziehungen zur gegenwärtigen Staatsmacht und der Sendung von "Müll" mit der Entschuldigung verbunden wurden, mensch "gebe den Leuten, was sie wollen". Die Probleme, die dieser Sender bereitete, dienen nun als Vorwand, eine Lösung durchzudrücken, die eine Widerholung und Mulitiplikation derselben Übel darstellt. Im Venezuela des Jahres 2007 soll die Niedrigkeit eines Teils des privaten Oligopols durch den Alptraum eines Staatsmonopols korrigiert werden, womit die Vorteile für die Regierung in nie dagewesener Weise steigen und die Produktion von "Müll" gerechtfertigt wird, vorausgesetzt, es bleibt alles schön "rosarot" (1). Genau gesagt werden wir Miguel Ängel Rodríguez los, aber dafür bekommen wir den gelobten Mario Silva, den Vorzeigejournalisten der Fünften Republik. Die Geschichte des venezolanischen Fernsehens lehrt, daß Privateigner von Medien niemals das Recht auf Meinungsfreiheit anerkannt haben, insbesondere dann, wenn dieses Recht ihre Profite und ihre privilegierte politische und kulturelle Position beeinträchtigte. Vor oder nach 1999 hat der Staat nichts unternommen, um das Fernsehen zu begreifen, um es als Mittel zur Ausübung und Verteidigung seiner Machtinteressen zu benutzen. Aus diesem Grunde war der kleine, verfügbare Raum, der zur freien Verbreitung und Diskussion von Vorstellungen im TV möglich gewesen wäre, sehr schwach ausgeprägt, da diejenigen, die hier die Macht haben, dies immer so haben wollten. Als sei dies nicht genug, müssen Regierungs- und oppositionelle Fraktionen miteinander konkurrieren in dem Kampf, der seit der Übernahme der Präsidentschaft durch Chávez um die Kontrolle über Staat und Ölprofite ausgebrochen ist, und die Massenmedien opportunistisch und tendenziös nutzen, da sich ein Schlachtfeld entwickelt hat, auf dem die Anerkennung des Rechts auf Meinungsfreiheit bedeutet, dem Feind Raum zu geben, innerhalb dieser perversen Logik der Polarisierung, die wir in letzter Zeit erdulden müssen, und in der diejenigen von uns, die kritisieren und sich im Dissens gegenüber den Machthabern befinden, von beiden Seiten verachtet und ausgeschlossen werden. Trotz aller Nuancen und Warnungen, die im Fall Venezuela im Kampf um das bißchen Meinungsfreiheit gegeben sind, gibt es verschiedene Anzeichen, die darauf hindeuten, daß die hauptsächliche Gefahr, die dieser Freiheit droht, vom Staat und seiner eindeutigen Absicht ausgeht, ein dem sogenannten Sozialismus angepaßtes Kommunikationsmodell zu schaffen, das jedoch nichts weiter ist als die neuen Kleider der kapitalistischen Herrschaft in Venezuela. Wir sind sicher, daß alle getroffenen Maßnahmen gegen einige der wichtigen Figuren (Granier von RCTV, Ravell von Globovisión und die heute schweigenden Armas Camero von Televén oder Cisneros von Venevisión), prompt auch gegen den Rest der Dissidenten des Landes eingesetzt werden, inklusive derer innerhalb der Regierung. Wir leben unter einem Regime, das jede Art Kritik oder Nichtzustimmung ablehnt und es sogar zur Tugend erklärt, alles zu unterdrücken und jeglichen Protest gegen den Mißbrauch der Macht und gegen die Inkompetenz sofort zu diskreditieren und jede mögliche Kritik zur kriminellen Verschwörung (der CIA, der paramilitärischen kolumbianischen Gruppen, der Rechten, die einen Staatsstreich will etc.) aufzubauschen. Für diese paranoide, stalinistische Einstellung ist die bloße Forderung von Rechten der unumstößliche Beweis für die Verschwörungen, die den "revolutionären Prozeß" bedrohen. Der für die venezolanische Regierung charakteristische Dogmatismus rechtfertigt die Einschränkung dieser Rechte im Namen eines absurden "Sozialismus", der stolz den einen nimmt und sich mit den anderen verständigt, den multinationalen Konzernen Besitzrechte zuschanzt und die brandneue "Bolibourgeoisie" schützt. (2) Angesichts dieser Lage können wir venezolanischen AnarchistInnen nur das jetzt verstümmelte Recht auf Meinungsfreiheit verteidigen, ebenso alle anderen politischen und sozialen Rechte, die für die Existenz und Bildung einer autonomen basisdemokratischen Bewegung unverzichtbar sind. Die Möglichkeit der Kommunikation im ganzen und menschlicheren Sinne ist für uns ein Mittel, aber auch ein Ziel, die Gesellschaft von freien und gleichen Menschen zu erreichen, die wir verwirklichen möchten. Gleichzeitig lehnen wir ab, daß die gegenwärtige Situation der Konfrontation dazu benutzt wird, Dissidenten zu kriminalisieren und ein Recht zu etablieren, das einem Polizeistaat gleichkommt. Der linke autoritäre Staat unterstützt Maßnahmen, die rasch gegen die Teile des Volkes eingesetzt werden, die Forderungen stellen (z.B. werden Blockaden verboten). Wir lehnen auch ab, daß bewaffnete Banden DemonstrantInnen in den Straßen angreifen, eine ganz neue Art paramilitärischer Gruppen, die dem venezolanischen Staat dazu dienen, die Praktiken seiner Handelspartner, Alvaro Uribe und die nordamerikanischen multinationalen Konzerne, zu kopieren. Schließlich weisen wir auf die deutliche Verbindung zwischen der venezolanischen Regierung und Teilen der globalisierten Wirtschaft hin, eine Verbindung, die prekäre Arbeitsverhältnisse und die Untejochung der bereits Unterdrückten in unserem Land sicherstellen will. /// Seit über 30 Jahren „kooperierten“ RCTV und Venevision (aus der Cisneros-Gruppe) bei der medialen „Versorgung“. Das Abkommen hatte einen eher ökonomischen als politischen Charakter und beide standen mitunter in Konfrontation zueinander, auch zur gegenwärtigen Regierung. Nach dem Präsidentenreferendum 2004 wurde das stillschweigende Abkommen gebrochen, als die Cisneros-Gruppe aus "gesundheitlichen" Gründen beschloß, es sei das Beste, mit der Regierung Frieden zu schließen. Das Abkommen wurde bei einem Treffen zwischen Chávez und Gustavo Cisneros in einer der größten Kasernen von Caracas beschlossen, und Jimmy Carter war als Vermittler anwesend. Von Stund an begannen die Flitterwochen zwischen dem "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" und der Konzern-“Gang“; der Verlobungsring waren 5 Jahre Lizenzverlängerung für Venevision. Zur gleichen Stunde war das Ende von RCTV eingeläutet. Es ärgert jeden Chavista natürlich ungemein, wenn mensch ihn daran erinnert, daß es noch gar nicht so lange her ist, daß seine Fraktion Venevision und Cisneros bekämpfte, oder wenn mensch sie bittet, doch mal die qualitativen Unterschiede beider Unternehmen aufzuzählen, die das Schließen des einen sowie das Lob des anderen rechtfertigen. (1) "Rosarot" ist die von Präsident Chavez und seinen Anhängern gewählte Bezeichnung für den Sozialismus ihrer politische Bewegung, mit der Betonung auf "rosa", was das Rot betonen soll. (2) "Bolibourgeoisie" ist zusammengesetzt aus "bolivarisch" und "Bourgeoisie" Übersetzung: catkawin (FdA-IFA)